Es ist kalt, dunkel und es schneit. Tiefster Winter herrscht und es ist kurz vor Weihnachten. An den Strassenlaternen und an den Häusern hängt schöne Deko. Sterne, Lichterketten, Kerzen, Tannenbäume und noch viel mehr leuchtet und glitzert. Doch ich laufe ganz allein und traurig durch diese lichtererfüllte Gegend. Mein Kopf ist Richtung Boden gesenkt und ich denke nach, was mich wieder glücklich machen könnte.
Plötzlich entdecke ich am Boden kleine, rote Fussspuren. Sie sehen aus wie von einem vierjährigen Kind. Aber komischerweise sind sie rot. Weil es mir so merkwürdig vorkommt, folge ich diesen Fussspuren einfach. Sie führen weiter bis zur nächsten Kreuzung und noch viel, viel weiter. Ich vergesse komplett, dass ich eigentlich nach Hause sollte und laufe einfach diesen mysteriösen Spuren nach. Es interessiert mich, wohin mich die Spuren führen. Ich hebe lustlos den Kopf. Doch vor Schreck mache ich einen Schritt zurück. Ich bin an einem Ort, an dem ich noch nie zuvor gewesen war. Angst erfüllt mich. “Was wird hier passieren? Wollen die Spuren mich in eine Falle locken?“ Ich lege meinen Schulsack auf den Boden, weil er einfach viel zu schwer ist. Mutig folge ich den Spuren weiter. Ich will unbedingt wissen, wo sie hinführen. Ich laufe bestimmt schon fast eine halbe Stunde, als plötzlich die Spuren aufhören.
Erschöpft blicke ich auf. Ich stehe vor drei wunderschönen Häusern. So umwerfende, leuchtende Häuser habe ich noch nie in meinem ganzen Leben gesehen. Aber was soll ich jetzt tun? Ich schaue mich um in der Hoffnung, mehr rote Spuren zu finden, doch nirgends sind welche. Niedergeschlagen und ohne Energie schliesse ich die Augen. Da erfüllen mich zwei plagende Sorgen: „Ich werde erfrieren und nie wieder den Nachhauseweg finden.“ Doch noch während ich das zu mir selbst sage, erklingt eine fröhliche, zarte Stimme. Obwohl die Stimme so nett klingt, bin ich mir nicht ganz sicher, ob sie es gut mit mir meint oder was sie von mir will. Entschlossen öffne ich die Augen wieder. Vor mir im Schnee steht ein niedlicher, roter Zwerg und sagt erneut zu mir: „Hallo Lea! Mir wurde gesagt du bist traurig und willst wieder glücklich werden.“ - „Oh ja, das ist mein grösster Wunsch!“, flüstere ich.
Der Zwerg nimmt mich mit in eines der schönen Häuser. Im Haus riecht es lecker nach Zimt, Orangen und Weihnachtsplätzchen. Wir laufen weiter in einen Raum, dessen Wände aus Bildschirmen bestehen. Sogar der Boden und die Decke sind ein Bildschirm. Der Zwerg fragt mich lieb: „Was ist das Schönste, was du je in deinem Leben erlebt hast? Oder wovon haben dir deine Eltern erzählt, dass es eine wundervolle Zeit war?“ Nach kurzem Überlegen fällt mir etwas ein: „Als wir gerade frisch in die Schweiz gezogen sind und ich das erste Mal Schnee sah.“ Da läuft der Zwerg aus der Tür und lässt mich allein.
Es ist stockdunkel im Raum. Doch aus dem Nichts wird es hell. Es schneit und ich bin zu der dreijährigen Lea von damals geworden. Mit meinen Brüdern spiele ich fröhlich im Schnee und wir lachen viel. Wir bauen einen Schneemann, bewerfen uns mit Schnee und verstecken uns vor unseren Eltern im selbstgebauten Iglu. Es ist wunderschön. Noch nie war das Leben sorgloser als in diesem Moment. Ich bin nicht dumm wie ein kleines Kind. Nein. Mein Gehirn ist dasselbe wie dann als ich reinkam, aber mein Körper ist der von der dreijährigen Lea. Ich bin so glücklich und mein ganzer Körper ist mit Freude erfüllt. Alles wird wieder schwarz. Aber die Freude in meinem Herz bleibt in mir.
Der Zwerg betritt den Raum wieder und fragt mich, wie ich mich fühle. Ganz hibbelig vor Freude sage ich ihm, dass ich noch nie in meinem Leben so glücklich und fröhlich war. Die Freude, von der ich auf dem Nachhauseweg gar keine gehabt habe, war jetzt zu 100% da. Es fühlt sich alles so leicht an und nichts kann mir Sorgen bereiten. „Wie hast du das gemacht?“, frage ich aufgeregt. Doch der Zwerg sagt mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht: „Das ist das oberste Zwergengeheimnis. Das ist streng geheim! Geh aus dem Haus raus. Du wirst den Heimweg schon wieder finden.“ Tanzend gehe ich aus dem Haus. Draussen sind wieder dieselben Spuren, die mich hierhergeführt haben. Glücklich und mit erhobenem Kopf tanze ich nach Hause.
Auf dem Weg sehe ich einen merkwürdigen Schneehaufen. Ich grabe darin herum und ziehe einen Rucksack heraus. Vor Lachen krieg ich mich nicht mehr ein. Das ist ja mein schwerer Schulsack! Nun renne ich ganz schnell mit einem Riesenlächeln im Gesicht nach Hause.
Das Leben geht ganz normal weiter. Jeden Tag gehe ich in die Schule und wieder nach Hause. Niemand auf dieser Welt kann mir meine unbeschreibliche Freude nehmen. Und wenn sie doch verschwinden wird, wird der Zwerg wiederkommen und mir die Spuren zum Glücklich werden vorbereiten.